Nach 10 Monaten harter Arbeit freue ich mich nun auf die Ferien. Gewiß, andere genießen 5 Wochen Urlaub, ich hab nur 2 Monate. Aber diese kurze lebenswerte Sommerzeit will genutzt werden – Carpe Diem, carpe vacatio!
Also beginnen meine Reisevorbereitungen wieder mal mit der Restaurantrecherche. Als Gebirgsdorfbewohner staune ich in jeder größeren Stadt über die kulinarische Auswahl und das schier endlose gastronomische Angebot. Das Problem besteht hier weniger im fehlenden Angebot, sondern ist ganz anderer Natur: die Größe der Stadt! Nur weil sich zwei Restaurants in Paris befinden, bedeutet das nicht, dass sie auch nur im Entferntesten nahe beisammen liegen müssen – nach einem Tag Paris-Sightseeing habe ich eine Strecke von 35km zurückgelegt. Glücklicherweise konnte ich die meisten davon am Einrad zurücklegen; so wurde der Weg zwar nicht kürzer, aber lustiger.
Auch Bilbao ist schön. Schön von der Art, wie Bad Gastein es ist. Beeindruckende Vertikalausdehnung, kompaktes Zentrum. Ein Restaurant bietet einen makrobiotischen Apfelstrudel an (must try). Guggenheim Museum. Baskenland. Und eine Liftruine…
Leichter fällt die Nahrungsaufnahme für vegane Gourmets natürlich in Barcelona. Für jeden, der sich an die eingeschränkten Öffnungszeiten des Petit Brot gewöhnt hat, bietet dieses Restaurant vitale Säfte und ausgezeichnete Menüs in allerhöchster Rohkostqualität …
In der Baskenmetropole können neben Rohköstlichkeiten auch vegane Pizzen gegessen werden, das Veggie Garden und natürlich die vielen Märkte und sogar Geschäfte besucht werden, die ausschließlich Obst anbieten (raw fast food) – (für carnophile Leser: das löst in mir ähnliche Glücksgefühle aus wie wenn ihr in einer Metzgerei steht. Also viel Auswahl dessen was man gerne mag, und nix das vom Wesentlichen ablenkt).
Doch das eigentliche Ziel meiner Reise liegt in Portugal. Inmitten des Alentejo, einer zur Wüste werdenden Landschaft, liegt eine Oase des Friedens – Tamera, Healing Biotope I – Friedensforschungszentrum.
Dank der nach Anleitung Sepp Holzers angelegten Wasserretentionslandschaften geht kein Tropfen des im Winter fallenden Regenwassers verloren und wird ganzjährig im Kreislauf gehalten. So gedeihen Obstbäume neben den vor einigen Jahren angelegten Seen, es wächst Gemüse und die Insekten, Vögel, Menschen und andere Tiere erfreuen sich reicher Futterquellen.
Tamera bietet neben diesem freien Nahrungsangebot auch vegane Vollverpflegung und führt eine Bar, die neben veganer Schokolade auch Bier für € 1,- anbietet! Weiters werden Besucher ersucht, tierleidfreie Seifen und Zahnpasten mitzubringen sowie darauf zu achten, dass dies alles biologisch abbaubar ist.
Doch leider ist der Aufenthalt an die Teilnahme an einen der Kurse oder der dreimonatigen season group gebunden. Jeder weitere Tag wird nur in Ausnahmefällen geduldet, man will ernsthaft Suchende Gäste, keine Touristen.
Für eine Auszeit vom babylonischen Alltagswahnsinn kann Tamera also nicht empfohlen werden. So erinnerte ich mich an Hesse, welcher sagt, es
„Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.“und da stets gilt,
‘Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen’, packe ich meinen Rucksack und setze meine Reise fort (klingt eigenartig, die Reise fortsetzen, als ob Die Reise jemals unterbrochen werden würde)
… und so zog ich weiter, zum Wandern, gen Italien.
Ich suchte die Ruhe, die Abgeschiedenheit. Nach einem Jahr im öffentlichen Schuldienst brauche ich mal Zeit in einer heilsamen Umgebung. Tamera war der perfekte Ort, in eine friedliche, inspirierende Gemeinschaft lieber Menschen einzutauchen. Doch war ich nur Gast, nicht Teil der Gemeinschaft. Also alles mal durchdenken, durchfühlen, wirken lassen. Der Sommer wird mich noch eine Weile begleiten und ich stehe jetzt mal alleine nahe dem Naturpark der Friauler Dolomiten im Wald und denke, dass es noch nicht nötig wäre, die Schuhe zu binden oder Socken zu tragen.
Ein paar Kilometer weiter erinnert mich eine große Blase an der Ferse, dass es schon nötig gewesen wäre und alleine bin ich auch nicht mehr.
Ich befinde mich im Rainbowland, einem gras- und buschbewachsenen Hochtal auf 1.200m, in welchem Menschen campen, singen, tanzen, Workshops halten, lieben, kochen, essen,… Keine elektrischen Geräte sind zu finden, kein Alkohol, keine Dixi-Klos und kein Geld (außer im Magic Hat um Reis, Kichererbsen, Kartoffel und Gemüse für Alle zu bezahlen); dafür ungefähr zweitausend Hippies jeden Alters und ca. ebensoviele Gitarren, ein Chello, Chai Tents, ein komplettes Kids Village mit eigener Kids Kitchen und als der Mond zunimmt, kommen immer mehr Menschen hinzu sodass am 6. August, einem Tag vor Vollmond, der Food Circle schon aus drei Reihen besteht als plötzlich der Regen sich mit Sturm und Hagel gepaart von seiner offensiven Seite zeigt.
Ein Fest der offenen Herzen
Brothers and Sisters (so die aus dem angloamerikanischen stammende Anrede unter Mitgliedern der Rainbow Family) begegnen sich in Offenheit. Niemand läuft mit Schutzschilden durch die Gegend. Abwehrhaltung ist nicht nötig, da niemand Hass, Neid, Gier, Ärger oder Frust mit sich herumträgt und aggressives Verhalten vermieden wird. So begegnen sich häufig brothers and sisters, die sich vorher noch nie gesehen haben, mit der Offenheit guter Freunde. Diese Offenheit bemerke ich am häufigsten in Gesprächen. Gespräche, die dadurch nach wenigen Sätzen eine Tiefe erreichen, die in der ‘outside world’ sehr selten vorkommt, welche aber auch größtes Vertrauen erfordert; auch viel Selbstvertrauen. Meist sind diese Gespräche sehr wertvoll.
Offenheit wird auch im Umgang mit Kleidungskonventionen demonstriert. Wer die Notwendigkeit verpürt, bekleidet oder bemalt herumzulaufen, kann dies tun, in welch Form auch immer es gewünscht ist. Es ist gar nicht mal so leicht: pure Selbstdarstellung – keine zur Schau Stellung des Egos.
Eine besonders schöne Seite zeigte sich in der emotionalen Offenheit im Umgang miteinander.
Ich traf kaum jemanden, der etwas widerwillig oder lustlos tat; schließlich gibt es hier einen freien Willen und niemand wird zu etwas gezwungen…
Dazu ist es aber auch wichtig, dass Sätze wie ‚Du das stört mich jetzt, wenn du das hier machst‘, hier findet gerade ein heiliges Ritual statt, bitte nicht durchgehen‘ ‚nein, ich mag nicht beim Servieren helfen‘ ganz offen kommuniziert werden dürfen.
Eigenverantwortung und gelebtes Mitgefühl
Wer sich in die Berge begibt, in die freie Natur; der setzt sich einem Risiko aus. Jeder sollte Risken kompetent abschätzen können und entsprechend Handeln. Hier gibt es keinen ‚Veranstalter‘, der etwaige Haftung übernehmen würde, nur gegenseitige Hilfe und Unterstützung. So gewährte ich im Hagel einer sister Unterschlupf unter meinem Regenponcho und konnte der an Wärme gewöhnten Inderin eine Intensivierung der Kälteerfahrung ersparen; später wurde ich in ein Zelt eingeladen und konnte so eine weitere Regenphase trocken überstehen.
Nachdem ich dies alles, und viele nackte Menschen(!) gesehen hatte, reiste ich natürlich unverzüglich ab und wendete mich wieder meinem bürgerlichen Leben in Babylon zu.
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