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Ein Duft von Freiheit

Auszüge aus gleichnamigem Interview mit dem Meditationslehrer und Psychotherapeut Richard Stiegler aus dem Magazin Yoga Aktuell N° 90, Februar/März, Seite 62-65:

Meditation ist etwas sehr Vielschichtiges. Von außen betrachtet ist sie eine Form, in die ich mich hineinbegebe, z.B. indem ich auf dem Kissen sitze oder Gehmeditation praktiziere. Dadurch, dass ich eine gewisse Zeit lang immer das Gleiche mache, wird mir bewusst, wie mein Geist gerade beschaffen ist. Die Form wird zum Spiegel meiner Emotionen und für das SEIN selbst … einfach sein, einfach da sein. Es geht also nicht wirklich um das Sitzen, sondern um das SEIN … zunächst geht es dabei ums Dasein und nicht ums Tun. Es geht um das schlichte Menschsein in diesem Augenblick. Wenn ich aber tiefer in den Augenblick eintauche, dann geht es um die Seinsnatur in uns. Das ist die Ebene des Gewahrseins. Ein Raum voller Freiheit und Frieden. Das Gewahrsein ist unsere innerste Identität … Meditation bedeutet also, uns an das zu erinnern, was wir im Inneren bereits sind.

Meditation ist ein Spiegel von dir selbst, und wenn du unruhig bist, dann wirst du auch in der Meditation unruhig sein. Das ist kein Zeichen dafür, dass du etwas falsch machst, sondern ein Zeichen, dass du es richtig machst. Du bist bewusster und wacher als in deinem normalen Alltag, und dadurch bemerkst du, wie dein Geist gerade beschaffen ist. Deswegen: setz dich möglichst offen und unvoreingenommen auf das Kissen. Dann merkst du, wie dein innerer Zustand gerade wirklich ist. Er darf sein, wie er ist! Der gegenwärtige Moment, so wie er sich jetzt gerade zeigt, von Moment zu Moment, ist der eigentliche Lehrer. Meditation ist immer wieder die bedingungslose Hingabe an die jetzige Erfahrung. Es gibt nur das, was gerade da ist.

Das Grundlegenste, was man über die Meditation sagen kann, ist, dass sie ein Raum ist, in dem es um Bewusstheit und um das Bewusstsein geht. Es geht nicht um Wellness und nicht um gute Gefühle. Es geht auch nicht um etwas Heiliges. Es geht um Authentizität und, wie gesagt, um Bewusstheit.

Das Gewahrsein selbst ist keine Erfahrung, sondern pures SEIN. Wir sind zuinnerst pures SEIN, doch wir haben gleichzeitig eine Seele, die Erfahrungen macht. In dem Moment, in dem wir in direkten Kontakt mit dieser puren Präsenz kommen, färbt sich unser seelisches Erleben ein, und es tauchen ganz typische Erfahrungen auf: zum Beispiel eine unbedingte Freude ohne Grund, oder eine innere Freiheit oder tiefer Frieden … diese oder ähnliche Erfahrungen, die aus dem Kontakt mit dem Gewahrsein heraus aufsteigen, sind die wirklichen Ressourcen unseres Lebens …  Aber: um das Gewahrsein selbst zu verwirklichen, muss man auch diese Erfahrungen loslassen und übersteigen. Das Innerste ist nämlich SEIN, und keine Erfahrung. Letztendlich ist es ein freier, losgelöster Raum der Bewusstheit, in dem alles miteinander verbunden ist und nichts unabhängig existiert.

Die meisten Menschen strengen sich zu sehr an. Es wird oft gesagt: Meditation ist eine Übung. Doch mit dem Wort „üben“ verbinden wir Tun und Anstrengung. Üben muss man, was man noch nicht kann. So denken wir, dass wir uns in der Meditation ganz viel bemühen müssen. Unser Ego denkt sowieso immer: „Ich bin nicht gut genug. Ich muss besser werden, muss spiritueller werden und mich dafür anstrengen.“ Wenn wir so an die Meditation herangehen, bestätigen wir nur die Sichtweise unseres Egos. Deswegen sollte man sich zu Beginn der Meditation immer sagen: „Dieses Kissen hier ist ein Platz der bedingungslosen Annahme. Egal, ob ich gedankenverloren bin oder ob ich mich anstrenge, egal, ob ich gerade Liebe im Herzen trage oder Hass: es darf sein! Ich bin in meiner Ganzheit angenommen.“